Druck/PDF


Die Geschichte des Tollense Lebensparks

Von Nibelungen, Slawen und Feudalherrn

Unser Park liegt auf geschichts-trächtigem Boden. An den Ufern des Tollensesees siedelten bis ins
2. Jahrhundert n. Chr. germanische, genauer: burgundische Stämme. Damit könnte unser Gebiet die Heimat der später so genannten Nibelungen sein. Im Zuge des bis heute rätselhaften Geschehens der Völkerwanderung setzten sie sich in südwestlicher Richtung in Bewegung und pflegten noch in Burgund die Erinnerung an ihre Urheimat im sagenhaften „Nebelland“. . .

Die Slawen und ihr Erbe

In das frei gewordene fisch- und wildreiche Gebiet mit seinen ausgedehnten Eichenwäldern wanderten in den folgenden Jahrhunderten slawische Stämme ein. Ihr kultisches und politisches Zentrum, das sagenhafte Rethra, wird von vielen Forschern genau vor unserer „Haustür“ vermutet: zwischen Fischerinsel und der Lieps, geschützt durch Wasser und Sümpfe, soll die ganz aus Holz gebaute „Stadt“ gelegen haben, deren verschiedene Zentren durch Brücken verbunden waren und deren Herz der Tempel des doppelköpfigen Gottes Radegast war. Ein weißes Pferd diente als Orakeltier. Noch Jahrhunderte, nachdem ganz Europa längst christianisiert war, hielten hier die wendischen Slawen unbeugsam an ihrer Kultur fest.
Bis 1125 der Sachsenherzog (und spätere Kaiser) Lothar, die „Wende“ über die Wenden brachte. Er eroberte und zerstörte Stadt und Heiligtum. So gründlich wurde dabei (und in den folgenden Jahren) ausgelöscht, was an die einst alles bestimmenden slawischen Traditionen erinnerte, dass schon wenige Jahrzehnte Jahre später die Lage von Rethra nicht mehr bekannt war und selbst der Name und seine Bedeutung in Vergessenheit gerieten. Die Sieger bestimmten allemal, was Geschichte wird.

Ritter und Klöster im Mittelalter

"Christliche", "deutsche" Siedler kultivierten nun diesen Landstrich. Jetzt wurde gerodet und „urbar gemacht“. Und immer mehr etablierte sich in den folgenden Jahrhunderten hier wie in ganz Mecklenburg das System ausgedehnter Klöster und Rittergüter, auf denen die Menschen weitgehend in Leibeigenschaft unter dem „Schutz“ der kirchlichen und adligen Feudalherrn lebten.
So auch die Menschen im Dorf „Reze“ (heute Alt-Rehse), das 1182 erstmals als Besitzung des Klosters Broda erwähnt wurde. Später ging es über in den Besitz der Herren von Maltzahn auf Burg Penzlin.
1816 wurde von Ferdinand von Maltzahn in dieser Gegend die Leibeigenschaft aufgehoben. Eine „Wende“, die nicht nur ein Grund zum Jubel war: aus den – wenn auch ärmlich – versorgten Leibeigenen waren recht- und geldlose Landarbeiter geworden. Landflucht war die Folge.


Vom adligen Lebenstraum zum Traum vom gemeinsamen Leben


Noch mehrfach wechselt Alt Rehse den Besitzer, bis es schließlich 1897 in den Besitz von Ludwig Freiherr von Hauff übergeht. Ihm gehörte damit ein Rittergut von 488 ha Größe. Er war ein Verwandter des Märchendichters Wilhelm Hauff, von dem u. a. der märchenhafte Ritterroman „Lichtenstein“ stammt, der sich um das gleichnamige Schloss am Rand der Schwäbischen Alb rankt. Ludwig von Hauff war durch erfolgreiche Spekulation mit zaristisch-russischen Eisenbahnaktien zu Reichtum gekommen und erfüllte sich seinen Lebenstraum: Er baute sich sein eigenes „Schloss Lichtenstein“ und legte zwischen Schloss und See einen herrlichen und ungewöhnlich großen Landschaftspark mit zahlreichen Alleen und seltenen Bäumen an.
Die Familie Hauff pflegte einen recht aufwändigen Lebensstil, dem schlagartig die Grundlage entzogen wurde, als mit der russischen Oktober-Revolution 1917 die Aktien keine Dividende mehr abwarfen und keinen Rubel mehr wert waren. Eine „Wende“, mit der keiner gerechnet hatte.
Dass dann im Jahr 1921 das gut versicherte Schloss „einfach so“ abbrannte, gab zu einigen naheliegenden Vermutungen Anlass, die sich aber nicht beweisen ließen. Das Schloss wurde 1923 in der jetzigen, einfacheren Gestalt wieder aufgebaut. Ludwig von Hauff starb, seine Witwe, die so wenig wie die Söhne etwas mit Landwirtschaft anfangen konnte, verpachtete das immer unrentabler werdende Gut nacheinander an mehrere Pächter. Verkaufsverhandlungen zogen sich hin. Da wurde den Hauffs das Heft ganz aus der Hand genommen:

 

Führerschule der deutschen Ärzteschaft


Das Rittergut wurde 1934 von den neuen Machthabern enteignet und dem Hartmann-Bund (der später in der „Kassenärztlichen Vereinigung“ aufging) übertragen, der auch den Kaufpreis an die bisherigen Eigentümer, die Familie von Hauff bezahlte und auf dem Gelände des Parks die „Führerschule der deutschen Ärzteschaft“ errichtete.


Linientreue, „führende“ Ärzte, Krankenschwestern und Hebammen aus dem Deutschen Reich, sollten als Multiplikatoren der neuen nationalsozialistischen Medizin hier geschult werden, um die medizinischen Dienste flächendeckend auf die „Heilung des Volkskörpers“ durch die „Ausmerzung der Schädlinge im Volkskörper“ einzuschwören. Und das waren eben nicht nur die „rassisch Minderwertigen“ (für die waren die KZs zuständig), sondern auch alle, die als „erbkrank“ galten. Und dazu zählten Geisteskranke ebenso wie „Schwachsinnige“, „Missgeburten“, Behinderte aller Art, Alkoholiker etc. Doch betroffen waren auch unheilbar Kranke und solche, die infolge „krankhaft“ abweichender Einstellungen als verrückt zu gelten hatten. Für ihre Identifikation und Meldung zur Beseitigung durch Euthanasie war williges medizinisches Personal notwendig. Und das musste entsprechend indoktriniert werden.

Neue Gebäude für zweifelhafte Zwecke

Zu diesem Zweck wurden im Park in kürzester Zeit 15 große Ziegel-Fachwerkhäuser in niedersächsischer Hallenbauweise erbaut. 1934-35 entstanden neben dem Gemeinschaftshaus („Schulungsburg“) Häuser zur Unterbringung der Kursteilnehmer, sowie der medizinischen und politischen Lehrer – ebenso alles, was der Versorgung, der Erholung und körperlichen Ertüchtigung diente – einschließlich Turnhalle, Sportstadion und Badestelle mit Umkleidekabinen, Sprungturm und Segelhafen.
Zeitgleich wurde das Dorf Alt Rehse weitgehend abgerissen und als Musterdorf im selben Stil neu aufgebaut. Alles in allem ein Vorzeigeprojekt des „Tausendjährigen Reichs“. Noch heute zeigen die Inschriften über den Türen der Dorfhäuser, in welchem Jahr der neuen Zeitrechnung die Häuser entstanden.
Kein Wunder, dass fast alle Köpfe der NSDAP gerne bei den ab 1935 durchgeführten (meist 14-tägigen) Schulungskursen vorbeischauten: Martin Bormann und Heinrich Himmler, die Duzfreunde von Dr. Deuschl, dem Leiter der Führerschule und Reichsärzteführer Dr. Wagner, Führer-Stellvertreter Rudolf Heß, Chefideologe Alfred Rosenberg, aber auch Leute wie Göring, Frick, Ley, Frank ließen es sich auf dem wunderschönen Gelände gut gehen.
Die Bedeutung dieses Projekts wird noch dadurch unterstrichen, dass die SS mit dem „Schutz“ der Anlage betraut war.
Ab 1941 war offenbar die Ärzteschule von nachrangiger Bedeutung. Ab diesem Zeitpunkt hörten die Schulungskurse auf. Die Träume vom unheilbar gesunden Volkskörper mussten wohl auf die Zeit nach dem "Endsieg" verschoben werden. Das Gelände diente von 1941-45 v. a. als „Heeres-Reserve-Lazarett“. Aber stattdessen kam die nächste „Wende“.

Die Zeit des Kinderheims


Die schwarzen Uniformen der SS wurden durch die braunen der russischen Soldaten ersetzt, die hier von 1945-47 stationiert waren. Wie durch ein Wunder war der ursprüngliche Befehl, alles dem Erdboden gleichzumachen, widerrufen worden, und dass während dieser Zeit mehrere Fachwerkhäuser in Flammen aufgingen, war wohl auf Unachtsamkeit, z. B. beim Schnapsbrennen zurückzuführen . . .

Von 1948-52 war der Park von Kinderstimmen erfüllt: Ein Kinderdorf entstand, vor allem für traumatisierte Kinder, die auf Flucht und Vertreibung ihre Eltern verloren hatten und hier wieder Lachen und Spielen lernten. Die abgebrannten Häuser wurden in kleinerem Maßstab wieder aufgebaut und zur Selbstversorgung viele Obstbäume gepflanzt, die noch heute reiche Frucht tragen.

 

Wirkungsort von Staatssicherheit und NVA


Von 1952-55 befand sich hier ein Institut für Lehrerbildung, dem der Park weitere Häuser verdankt. Danach erscheint ab Herbst 1955 für das Gelände das Ministerium für Staatssicherheit im Grundbuch und die Kasernierte Volkspolizei (Bereitschaftspolizei) zieht ein.
1958 übernimmt die NVA (Nationale Volksarmee) die Anlage und bis 1989 war der Park vor allem Gästesitz der Militärbefehlshaber, Übungsort für Leistungssportler und Musikkapellen, sowie Erholungs- und Therapiezentrum des Militärs.
Und wieder fanden sich hier gerne die „Großkopferten“ aus Staat und Partei ein, von Honecker bis Mielke, um es sich in der extra errichteten „Party-meile“ am See gut gehen zu lassen.
Auch die NVA hinterließ interessante Bauwerke: Zahlreiche und große Bunkeranlagen zum Schutz der militärischen Einsatzleitung im Ernstfall in den westlich gelegenen Regionen des heutigen Parks, damals von Hochsicherheitszäunen mit 10.000 Volt gesichert, heute mitunter von jungen Menschen als Geheimtipp für spezielle Musik-Events entdeckt.

Die Wende


1989 kam die nächste Wende und das Gelände ging 1990 in den Besitz der Bundeswehr über: Die Soldaten wechselten die Uniform, die eine Fahne wurde eingeholt, die andere gehisst, die neue Hymne erklang - und die Wende im Park war vollzogen. Ein wahres Sinnbild für die atem- und besinnungsberaubende Geschwindigkeit mit der die Wende auch sonst über die DDR-Bevölkerung kam.
Die Bundeswehr immerhin führte während ihres Hierseins bis 1998 zahlreiche infrastrukturelle und bauliche Maßnahmen durch. So entstand ein Nahwärmenetz mit leistungsstarker Heizzentrale, das alle Häuser im Park mit Wärme versorgen kann, neue Straßenbeleuchtung, viele neue Dachstühle, Dächer, Toiletten u.v.a.m.

Während dieser Zeit machte der „Hartmann-Bund“ und die „Kassenärztliche Vereinigung“ immer lauter ihre Ansprüche auf „ihr“ Dorf Alt Rehse und „ihren“ Park geltend, Ansprüche, die schließlich auch juristisch ausgefochten wurden. Nach langem und schließlich vor dem Bundesverwaltungsgericht 2001 für die Ärzteverbände erfolgreichen Tauziehen (begleitet von ziemlichem Pressewirbel), verzichtete die Ärztevertretung auf alle Ansprüche und zog sich ganz aus dem Projekt zurück. 1998 war die Bundeswehr ausgezogen und „das Objekt“ wurde als Bundesvermögen zum Verkauf ausgeschrieben. von 1998 bis 2006 war der Park leer und blieb, jahrleang sogar ohne Bewachung, weitgehend sich selbst überlassen. Die Natur hatte den Park für sich. Viele scheue Tiere, unter ihnen Damhirsche, Wildschweine und der Pommernadler siedelten sich hier an.

Neuanfang Gemeinschaft



Nach langjährigem Hin und Her    und mehreren Bietverfahren erwarben Bernhard und Christoph Wallner für eine Gruppe unabhängiger Bürger aus dem ganzen Bundesgebiet den Park mit Schloss und allen Gebäuden für die Entwicklung des „Tollense Lebensparks“ als neuem Dorfteil von Alt Rehse.

 

An einem wahrlich historischen Abend des 1. März 2006 präsentierten die neuen Bewohner, die aus Süd, Nord, West und dem Osten Deutschlands stammten, sich und ihr Konzept im Dorfgemein-schaftshaus den Dorfbewohnern und zukünftigen Nachbarn - die sich fast vollständig eingefunden hatten ... die erste Grundlage für ein gedeihliches Zusammenleben war geschaffen. Die neuen Bewohner machten von Anfang an klar, keine Großarbeitgeber oder rendite- oder fördermittel-jagende Großinvestoren zu sein, die andere für sich und Geld arbeiten lassen, sondern mutige und tatkräftige Menschen, die die eigenen Ärmel hochkrempeln, selbst arbeiten und mit Mut und Tatkraft die große Aufgabe anpacken. Sie begannenunverzüglich - mit Unterstützung vieler Menschen aus Dorf und Umgebung, den Park mit neuem Leben zu erfüllen. Gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass sie zunächst nur acht Erwachsene und zwei Kinder waren in ihrem „Schlosspark“ mit seinem 25 ha großen historischen Park und 40 ha weiterer Wald- und Wiesenflächen, den ausgedehnten Ufern am Tollensesee, dem Schloss und 20 leer stehenden, durchweg renovierungsbedürftigen Häusern.

Der Park war seit seiner Errichtung 1897 noch niemals allgemein zugänglich, mehr als 70 Jahre für Dorfbewohner und Öffentlichkeit unbetretbar war und viele Jahre ganz leer stand, ist er seit dem 1. Mai 2006 offen und erwacht als integraler Bestandteil des Dorfs Alt Rehse zu eigenem und neuem Leben. Ein Tatbestand, der manchen Besucher in Erstaunen versetzt: Privatgelände - und doch für jedermann zugänglich! Aber diese Offenheit gehört zum Selbstverständnis seiner neuen Bewohner.

Der Lebenspark heute

Regelmäßig an Sonn- und Feiertagen sowie auf Anfrage werden Führungen durch den historischen Park bis zum Seeufer angeboten. Die inzwischen zahlreichen Veranstaltungen wie Konzerte, Vorträge, Seminare und andere kulturelle und sportliche Events ziehen Menschen aus Nah und Fern an, ebenso wie die vielfältigen therapeutischen Angebote des Gesundheitsteams und die Beratungsangebote für Menschen, die sich für ein bewussteres, ökologisches und selbstbestimmtes Leben interessieren oder gar eine neue Lebensperspektive suchen. Und vieles liegt noch in den Schubladen und wartet auf Verwirklichung.
Man darf gespannt sein.